Sonntag, 22. März 2015

Vang Vieng & Vientiane (Teil 6)

Eine kleine Zwischenstation auf unserem Weg nach Süden sollte Vang Vieng sein, das eigentlich nur 230 Kilometer von Luang Prabang entfernt liegt. Dank der kurvigen Straße trennen Start und Ziel aber ganze sieben Stunden. Alles halb so schlimm, hätte ich mich am Vorabend genauer informiert und wäre am Tag der Abreise nicht guten Mutes eine Viertelstunde zu spät vom Hostel aufgebrochen. So habe ich den Bus um eben diese fünfzehn Minuten verpasst. Spontan wie planlos kam ich mit meinem (deutlich zu schwer bepackten) Reiserucksack an der Busstation an und erkannte, dass ich ganze fünf Stunden Zeit haben würde, um mich mit roten Plastikbänken, grimmigen Ticketverkäufern und laotischem Fernsehen anzufreunden. Das Ticket kostete 14 Dollar, was für die bisherigen Verhältnisse ein kleines Vermögen war. Ich schaute tatsächlich eine Weile fern, nachdem mir keine Notizen mehr einfielen, die ich hätte niederschreiben können, und war erstaunt über die Bandbreite und Qualität des sozialistischen Staatsfernsehens. Nur ein einziges Mal wurden schwarz-weiße Aufnahmen irgendeines militärischen Ereignisses gezeigt, der Rest des Programmes bestand aus Nachrichten, Talkrunden und einer äußerst modernen Koch-Show. Als vorurteilsbeladener Sensationstourist hätte ich im TV zumindest im Ansatz so etwas ähnliches wie Nordkorea erwartet, doch stattdessen wirbt das laotische Staatsfernsehen für den hauseigenen Youtube-Channel und die offizielle Facebook-Präsenz. Die zwei ewig wehenden Flaggen am oberen linken Bildschirmrand – eine für den Staat, eine für die (einzige) Partei – sind da nur ein schwacher Trost. Nach quälend langen Stunden des Wartens und einer höchst delikaten Nudelsuppe ging es endlich los – und die eigentliche Odyssee begann: Immer wenn die klägliche Hoffnung bestand, der Bus würde hinter der nächsten Biegung endlich auf über 60 km/h beschleunigen, lauerte ein paar Meter weiter schon die nächste scharfe Kurve. So ging es stundenlang durch atemberaubende Landschaften mit bewaldeten Berggipfeln und kleinen Dörfern, die sich zwischen Straße und Hang festklammerten. Die schlichten Siedlungen beheimaten jeweils ein paar Hütten aus Holz und Schilfmaterial und sind besonders vor und nach Einbruch der Nacht sehr beeindruckend. Busfahren wird zum Kino. Wenn in der Dämmerung die Frauen an den Brunnen Wasser holen, Kinder an der Straße mit Hunden und Hühnern spielen und die Männer das letzte Licht ausnutzen, um in Badehose neben den Häusern zu duschen, fühlt man sich als unbeteiligter Beobachter irgendwie mitten in den örtlichen Alltag versetzt. Die Haustüren sind stets offen. Wenn es dunkel ist, kann man so in die sporadisch eingerichteten Wohnzimmer hineinsehen, wo in jedem Haushalt ein Fernseher läuft. Oft sitzen Familien um einen Topf mit Klebereis und essen zu Abend. Zumindest aus dem klimatisierten Bus heraus, der über die einzige Hauptstraße wackelt, hat die nicht abreißende Kulisse aus Dorf und Urwald etwas Idyllisches.

Irgendwann nachts bin ich schließlich am Ziel und checke in ein Backpacker-Hostel ein. Wenn man bei Dunkelheit ankommt merkt man erst am nächsten Morgen, wo man eigentlich gelandet ist. Vang Vieng ist nicht die schönste Stadt der Welt, aber es bietet viele Ausflugsziele in der Umgebung. Per Fahrrad kann man die Wasserfälle und Höhlen des Umlands erkunden, wobei die Schotterpisten oft besser für Mopeds geeignet sind als für klapprige, ganglose Drahtesel. Doch die Natur ist jede Anstrengung wert.


In dieser Stadt treffen wir uns wieder, da meine zwei Freunde zuvor ja eine andere Route genommen haben. Sie waren bei den Steinkrügen in Phonsavan und sind deshalb deutlich mehr Bus gefahren als ich. Im Waschbecken eines Dreibettzimmers lässt sich die erste Ladung Wäsche zumindest notdürftig reinigen und dann in der Abendsonne trocknen.


Nach zwei Nächten geht es weiter gen Süden in die mit 620.000 Einwohnern größte Stadt von Laos und kleinste Hauptstadt Asiens: Vientiane – ein Name, den ich als Elfjähriger ohne jegliche Fremdsprachenkenntnisse noch ausgesprochen habe wie er geschrieben wird und der mir immer wie ein merkwürdiger Frauenname vorkam. Meinen ersten Eindruck von Laos bekam ich in meiner Kindheit durch eine Buchreihe, die mein Vater irgendwann Anfang der Neunziger gekauft hatte. Aus diesen Büchern nahm ich mein erstes geografisches Wissen, ich lernte alle Hauptstädte der Welt auswendig, von denen ich bis heute über die Hälfte wieder vergessen habe. Zu Laos gab es in einem dieser Bücher nur eine einzige Seite, mit einem einzigen Bild. Es war das einer Straßenszene, natürlich mit Moped. Irgendwann in den vier Wochen unserer Reise habe ich mich an jenes Bild zurückerinnert und bemerkt, dass ich jahrelang keine andere Vorstellung von Laos und Vientiane hatte als eben diese Frau oder diesen Mann auf einem Moped. Auch hätte ich früher nie gedacht, dass ich jemals in dieses Land kommen würde, doch nun war ich aber tatsächlich hier. Die schwammige Erinnerung an dieses Buch konnte ich nun durch neue Impressionen ersetzen – und vor allem durch neue Bilder von Mopeds. Der Verkehr von Vientiane – das auf Laotisch übrigens Vieng Chang heißt und einem so auch nahelegt, wie der französische Name auszusprechen sein könnte – führt einem vor Augen, dass es hier tatsächlich auch große Städte gibt, oder mindestens eine. Beruhigend und ernüchternd zugleich, denn Vientiane ist nicht wirklich schön. Aber es gibt einige beachtenswerte Sehenswürdigkeiten, wie etwa den Triumphbogen (Patuxai) irgendwo im Zentrum der Stadt. Die Türmchen und die Figuren entstammen der indischen Mythologie, auffallend sind dabei vor allem die Kinnari (halb Frau, halb Vogel). Beim Bau des Monuments fand auch Zement Verwendung, den die USA eigentlich zum Bau eines Flugplatzes für den Vietnamkrieg vorgesehen hatten.


Zum Zeichen des weltweiten Friedens wurde am anderen Ende des Patuxai-Boulevards ein großer Gong angebracht, auf dem sämtliche Religionen der Welt durch Symbole markiert sind. Zunächst wird man stutzig, wenn man das Zeichen mit den vier Haken sieht, aber natürlich muss man sich den kulturellen Kontext vor Augen führen: Die Swastika ist im indischen Kulturraum ein Symbol für verschiedene Dinge, es ist u.a. dem Sonnenaufgang, dem Tag oder auch dem Gott Ganesha zugeordnet. In Europa wäre dieser Gong allein wegen dieses Zeichens wohl undenkbar gewesen, aber jenseits von Indien hat man hier natürlich keine Bedenken.


Das Wahrzeichen von Laos ist der Pha That Luang, der Große Stupa aus dem 16. Jahrhundert. Er ist auch auf einem Geldschein zu sehen und stellt die Vereinigung des Buddhismus mit der laotischen Kunst dar.


Leider war das Gebäude schon geschlossen, denn wir kamen dort recht spät am Tag an. Dafür konnten wir die zahlreichen Sportbegeisterten beobachten, die von ihrem abendlichen Workout zurückkamen und über die riesige geteerte Fläche vor dem Pha That Luang nach Hause gingen. Ich habe keinen Schimmer, ob das mal ein Flugplatz war oder Paraden diente, aber es bot hunderten Menschen aller Generationen einen Ort um sich zu versammeln. Abends kann man jedoch auch den Nachtmarkt am Ufer des Mekong besuchen, wenn man unter Menschen sein will. Auf der anderen Seite liegt Thailand, aber diesseits des Flusses lassen sich nach Einbruch der Dunkelheit die letzten Souvenirs in Laos kaufen, nebst kurzen Hosen, billigen Hemden und gefälschten Musik-CDs.


Ich muss ja zugeben, dass bei mir nach den ersten zwei Wochen ein bisschen die Luft raus war. Quasi fast so wie bei dem Hund oder dem Buddha da oben im Bild. In Laos hatten wir Bergfest und somit die zeitliche Mitte unserer Reise erreicht. Die nächste Etappe wollten wir von der laotisch-thailändischen Grenze aus mit dem Nachtzug zurücklegen, wodurch wir morgens in Bangkok ankommen würden und dann gleich weiter nach Kambodscha starten könnten. Eine Tour von mehr als 24 Stunden, aber durch den Nachtzug würden wir nur wenig Zeit verlieren.

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