Mittwoch, 28. August 2013

Syrien im August - Auch Beschwichtigung sollte ein Ende haben

[Dieser Beitrag entstand als Reaktion auf die vielen Stimmen, die ihr Fähnchen gerne nach dem Wind hängen. Als eine "Reaktion" sollte er deshalb auch gelesen werden, Thorschten vertritt darüber hinaus grundsätzlich nämlich pazifistische Positionen.]

Vor fast genau einem Jahr gab Kofi Annan sein Mandat als Syrien-Sondergesandter der Vereinten Nationen auf. Sein Nachfolger Brahimi hat bisher keine nennenswerten Fortschritte erreicht, eine politische Lösung des Konflikts bleibt weiterhin in unüberwindbarer Ferne. Irgendwann kamen dann zum ersten Mal chemische Waffen zum Einsatz und US-Präsident Obama in die erste moralische Zwickmühle: Er hatte zuvor die sagenumwobene „rote Linie“ gezogen und konnte sie nun nicht verteidigen. Das Gespött war ebenso groß wie die Hilferufe aus Syrien. Obama hatte angekündigt, einzugreifen – und tat es nicht. Der Westen würde seine Werte immer weiter verraten, hieß es. Dann gab es zum zweiten Mal die Meldung über Chemiewaffeneinsätze. Und dieses Mal mobilisierten die USA ihre Flugzeugträger. Der nächste Aufschrei erfolgte: Die USA dürfen sich auf keinen Fall einmischen! Bomben sind keine Lösung! Der imperialistische Westen greift wieder um sich und will ein Land ins Chaos stürzen. Ein brauner Wolf im roten Schafspelz, der Publizist Elsässer, will sogar eine Abschussprämie zahlen, für vom Himmel geholte NATO-Flugzeuge. Und er bekommt virtuellen Beifall. Elsässer schreibt über die „tapferen Soldaten an der Flak, die ihre Heimat verteidigen“. Plötzlich ist von den USA, Großbritannien und Frankreich als kriegstreibende Aggressoren die Rede. – Wir haben wieder einmal einen Sündenbock gefunden für das Syrien-Desaster, das seit über zwei Jahren in vollem Gange ist: Uns selbst. Es läuft immer auf dasselbe hinaus. Auch der angesehene Nahost-Spezialist Jürgen Todenhöfer sagte (schon im Mai): „Jetzt hat der Westen in Syrien wieder einmal ein politisches Chaos angerichtet.“

Liebe Leute, entscheidet euch! War euch die zynische Haltung von Sarah Palin („Let Allah sort it out!“) etwa lieber? Wer mich kennt weiß, dass ich eine Bevormundung arabischer Staaten durch den Westen nicht gutheiße, dass ich militärische Einmischungen à la Kreuzzug („Wir bringen den Arabern Zivilisation und Christentum“) entschieden ablehne und in die Zeit des Kolonialismus verordne. Aber wie lange soll man dem Schlachten noch tatenlos zusehen? Man hat Zurückhaltung geübt in Tunesien und vor allem im demografischen Zentrum des Nahen Ostens, in Ägypten. Man hat Gaddafi in Libyen aus dem Amt gebombt und Unordnung hinterlassen, na gut. Aber man hat die Rebellen höchstens aus der Luft unterstützt und ansonsten den Dingen (zu Land) ihren Lauf gelassen. Soll sich der Westen aus dem Syrien-Konflikt heraushalten? Das wäre scharf zu verurteilen. Doch für eine politische Lösung ist es doch längst zu spät. Und sagt nicht, dass „der Westen“ Verhandlungen blockiert hätte. Will sich denn Assad an einen Tisch setzen mit „Terroristen“ und „ausländischen Agenten“, die er von Anfang an für den Ausbruch der Demonstrationen und Aufstände verantwortlich gemacht hat? Assad sitzt stattdessen in seinem Bunker, schart Hisbollah-Milizen und iranische Religionswächter um sich und hat jeglichen Sinn für die Realität verloren. Ist so jemand noch ein ernstzunehmender Verhandlungspartner? Dennoch wird er von einigen Publizisten wie Herrn Todenhöfer – den ich als erfahrenen Kenner der Region eigentlich sehr schätze – immer noch gedeckt. Hat bald jeder lupenreine Demokrat dieser Welt einen deutschen Fürsprecher?

Es ist egal, ob Assad, sein Militärchef, ein Unteroffizier oder gar die Rebellen selbst Giftgas gestreut haben – die Welt muss endlich etwas tun. Und auch wer sich als Pazifist bezeichnet, sollte sich nicht aus Gegnerschaft zu islamistischen Rebellen auf die Seite eines skrupellosen Diktators stellen.
„Greifen Sie Syrien nicht an!“, fordert Jürgen Todenhöfer auf seiner Facebook-Seite den US-Präsidenten Obama auf. Doch wer will denn „Syrien“ als solches attackieren? Wird denn „Syrien“ im Weltsicherheitsrat von China und Russland gedeckt oder vielmehr das Regime? Die westliche Öffentlichkeit sollte überdenken, ob die Problematik Syriens wirklich mit der des Irak 2003 vergleichbar ist. Im Irak gab es keine Demonstrationen gegen Saddam Hussein, es gab keinen Bürgerkrieg. Und es gab nachweislich keine Massenvernichtungswaffen. In Bosnien hingegen gab es – wie in Syrien – Kriege und Regierungstruppen, die ein zerfallendes Jugoslawien zusammenhalten wollten. Weder NATO noch UN-Blauhelme konnten damals Massenmorde (aller Beteiligten) verhindern, genauso wenig wie sie es heute in Syrien können. Doch letztendlich hat man versucht, dem Gemetzel Einhalt zu gebieten, auch mit militärischen Mitteln, und hat so eine Serie von bewaffneten Konflikten eingedämmt. Das alles hat weniger Jahre in Anspruch genommen wie der letztlich erfolglose Einsatz im Irak. Heute ist der Balkan befriedet. Wieso sollte das – gut überlegt und planvoll – nicht auch in Syrien klappen? Eine militärische Intervention wird nicht ohne zivile Opfer auskommen, doch wird denn etwa jetzt gerade, in diesen Sekunden, das Sterben von Zivilisten verhindert? Nein! Die Opferzahlen haben die Marke von 100.000 bereits weit überschritten und steigen von Tag zu Tag. Auch ohne US-Marschflugkörper. Da ist gar keine „rote Linie“ mehr nötig, denn allein der gesunde Menschenverstand schreit nach dem Eingreifen.
Bin ich jetzt ein kriegstreibendes Medium? Das muss jeder selbst beurteilen. Natürlich wünsche ich mir für alle Aktionen ein UN-Mandat, keine Frage. Doch ich bin auch dafür, dass etwas geschieht, so schnell wie möglich.

Egal was „der Westen“ in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten tun wird – am Ende hat er es entweder falsch oder viel zu spät getan.
Nur irgendetwas sollte getan werden, denn danach werden wir uns nicht  m e h r  hassen als wir es ohnehin jetzt schon tun.


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An dieser Stelle möchte ich noch für eine Organisation werben, die schon jetzt wichtige Arbeit leistet und auch in der Zeit danach (denn egal wie, es wird eine Zeit danach geben) von enormer Wichtigkeit für die Menschen sein wird. Die Organisation Relief & Reconciliation for Syria hat motivierte, weitsichtige Aktivisten aus den verschiedensten Bereichen in ihren Reihen, von denen viele schon Erfahrungen auf den Trümmern der Jugoslawien-Kriege gesammelt haben und sich für sinnvolle Versöhnungsarbeit in Syrien einsetzen.


1 Kommentar:

  1. "Kritik" kann man das schon gar nicht mehr nennen. "blame the West" ist nichts als ein ideologischer Reflex. Man sieht das hier deutlich wie selten: Wenn die USA nichts unternehmen, sind sie verantwortungslose, skrupellose Realisten. Reden sie von chemischen WMDs, ist das eine Verschwörung (false flag!) oder mindestens eine finstere Lüge zwecks Kriegstreiberei. Greifen sie ein, sind sie rückwirkend an allem Schuld, was in der Region passiert, inklusive djihadistischem Terror. Wie man es dreht und wendet, die Gut-Böse-Verteilung stimmt immer mit der anti-Westlichen/anti-Amerikanischen Weltsicht überein. So funktioniert Ideologie.

    Um dieser Haltung zu begegnen, muss man traurigerweise gar nicht zu Extremisten wie Elsässer schauen. Da kann ich auch einfach meine bevorzugte deutsche Wochenzeitung aufschlagen oder mich mit ein paar meiner Politik-Kommilitonen unterhalten. Es ist eine Ideologie, die in Dland viele als ein Zeichen von Bildung und "kritischer Haltung" ansehen. :-\

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